Am 7. Juni 2024 besuchte die Australierin Krysia Tincello die Aula des Goerdeler-Gymnasiums und sprach vor den Schüler:innen des zehnten Jahrgangs. Sie erlebten eine eindringliche Schilderung der Lebensgeschichte von Krysia Tincellos Mutter. Denn Tincello ist eine sogenannte Zweitzeugin. Ihre Mutter Helena, die vor drei Jahren verstorben ist, hat den Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiterin erlebt und überlebt. Aktuell ist Krysia Tincello mit ihrem Ehemann Kevin Patterson in Paderborn zu Gast und besucht neben dem Goerdeler drei weitere Schulen.

Fünf Kapitel ihres für das Jahr 2025 geplanten Buches über die Geschichte ihrer Mutter habe sie bereits vollendet, sagte Krysia Tincello bei ihrer Vorstellung einführend. Anschließend sprach sie vor den Schüler:innen über eine zunächst „wundervolle Kindheit“ von Helena Tincello, geb. Korneluk, die jedoch 1941, im Alter von 15 Jahren, als polnische Zwangsarbeiterin nach Sollstedt in Deutschland geschickt wurde und dort in einfachsten Verhältnissen lebte.
Mit der Befreiung durch die Alliierten1945 kam Helena Korneluk nach Paderborn in das DP-Camp in der ehemaligen Infanteriekaserne (später Alanbrooke Barracks) an der Elsener Straße. Von dort aus ging sie 1947 als Kinderkrankenschwester nach Bad Lippspringe, wo sie im Kinderheim Haus Ottilie tätig war und wanderte schließlich im Dezember 1949 nach Australien aus. 


Helena Tincello hat Tagebuch geführt, das ihrer Tochter Krysia Tincello als Grundlage für die Rekonstruktion der Lebensgeschichte ihrer Mutter diente und in der Zeit des Krieges und der Nachkriegszeit eine besonders wichtige Rolle einnehmen sollte. Krysia Tincello las während ihres Vortrages immer wieder Passagen aus diesem Tagebuch vor.

Etliche Schüler:innen mögen dabei mitgefühlt haben, welche Ängste sie durchlebt hat, sind die Zehntklässler doch genau in dem Alter der damaligen jugendlichen Zwangsarbeiterin. Die anschließenden Fragen zielten dann auch in diese Richtung: Wie schafft man es, Resilienz nach einer derartigen Erfahrung aufzubauen? Wie zerbricht man nicht, sondern behält Lebensmut und schafft einen Neuanfang?
Die Arbeit als Kinderkrankenschwester bedeutete der befreiten polnischen Zwangsarbeiterin einen positiven Blick auf das Leben zu nehmen, das ihr wiederum die Kraft und Mut gab, nach Australien auszuwandern. Zurück nach Polen zu gehen wurde von der inzwischen 24-jährigen Helena Kaneluk wegen der stalinistischen Politik im Nachkriegspolen nicht in Betracht gezogen. Ihre Tochter wiederholte zum Schluss die Gedanken ihrer Mutter, die „nicht befreit worden sei von der Nazidiktatur, um danach wieder in einer anderen Diktatur zu leben.“

Am Ende der Veranstaltung spannte die Zweitzeugin noch den Bogen zu heutigen Entwicklungen und appellierte an die Zehntklässler:innen wachsam zu sein, um unsere Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung zu beschützen.

Das Goerdeler-Gymnasium bedankt sich bei Krysia Tincello und ihrem Mann Kevin Patterson für das Engagement als Zweitzeugin – und für die lebendige Geschichtsstunde als wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur und Demokratieerziehung.


Text: Pressemitteilung Stadt Paderborn / G. Lambrechts
Fotos: T. Schönebeck, G. Lambrechts,
N. Lamberty-Freckmann