„Es gibt Geheimnisse, die du nicht einmal dir selbst erzählen kannst“ – Der aphoristische Untertitel der Inszenierung wurde bei der Aufführung des Literaturkurses schnell zu beklemmendem Ernst: Hauptfigur Angela steht nach drei Jahren plötzlich wieder vor der Haustür der Eltern. Sie ist als 13-jährige entführt worden und leidet ab diesem Zeitpunkt unter totaler Amnesie. Als Schutzmechanismus hat ihr Gehirn mehrere Persönlichkeiten entwickelt, sie leidet also unter „D.I.S“, einer dissoziativen Identitätsstörung.
Diese vielschichtige, anspruchsvolle Thematik brachten die Schülerinnen und Schüler des Literaturkurses der Jahrgangsstufe Q1 unter der Leitung von Harald Rehberg auf die Bühne. Sie hatten bei der Premiere am 18.6. nicht nur sehr intensive Probentage, sondern bereits eine lange Vorbereitungszeit hinter sich. Zunächst hatte der Kurs im ersten Halbjahr den 300 Seiten starken Roman „Scherbenmädchen“ von Liz Coley erarbeitet und in ein Skript für die Inszenierung umgeschrieben. Es folgte in der zweiten Kurshälfte die Ausgestaltung auf der Bühne. Um möglichst vielen Kursteilnehmern das Schauspielern zu ermöglichen, wurden die dreizehn Rollen des Stückes zum Teil doppelt besetzt. Verschiedene theaterpraktische Übungen zur Gestik, Mimik und Intonation bereiteten die Jugendlichen, die bisher keine Schauspielerfahrung hatten, auf ihre Aufgaben vor.
Und diese waren durchaus herausfordernd. Galt es doch, nicht „nur“ die Auflösung rund um den Kriminalfall darzustellen, sondern auch die verschiedenen Persönlichkeiten der Protagonistin auf der Bühne sichtbar zu machen.
So erlebten die Zuschauer Angela, genannt Angie (gespielt von Deike Domann / Jasmin Sharifi) in sehr emotionalen Gesprächen mit ihrer Mutter (Ragavy Aravinthan / Gabriela Hanna) und ihrem Vater (Sebastian Gawlik / Valentin Geist). Die Eltern erkennen nach drei Jahren Abwesenheit ihre Tochter kaum wieder und finden als Familie nur schwer und langsam wieder zueinander. Auch der ermittelnde Detective Brogan (Can Ersarioglu) vermag die Entführung nicht aufzuklären. Erst eine Therapie bei Psychologin Dr. Grant (Sophie Gründer / Rabia Turan) und Behandlungen bei Dr. Hirsch (Alina Koslowsky) lüften das Geheimnis hinter der Amnesie und den Straftaten. Angie hat während ihrer Gefangenschaft verschiedene Persönlichkeiten entwickelt, die sie während der Zeit der Entführung in den Hintergrund gedrängt und die Kontrolle, aber auch die Leiden und Qualen übernommen haben.
Lange Zeit bleibt Angie unklar, wie die von den unterschiedlichen Persönlichkeiten wie „Kleine Frau“ (Lina Bargen), „Pfadfinderin“ (Alika Junge / Maren Töpfer), „Petze/Einsame Seele“ (Luna Knipping) oder „Engel“ (Henrik Claes) geschilderten Ereignisse einzuordnen sind.
Erst ganz allmählich begann das Publikum gemeinsam mit Angie die Erinnerungslücken zu schließen, die vielen „Scherben“ ihrer Persönlichkeit zusammenzufügen und den grauenvollen Geschehnissen während ihres Martyriums auf den Grund zu gehen.
Die ausdrucksstark agierenden Schüler und die professionelle Arbeit mit Licht, Ton und Kostümierung führten dazu, dass der Zuschauer genau erkannte, welche Persönlichkeit gerade agierte und das Handeln Angies bestimmte. Nach der zweistündigen Aufführung belohnte das Publikum die Akteure mit anhaltendem Applaus für eine beeindruckende und zugleich bedrückende Inszenierung.
Text: Ruth Eikenberg (Q1) / N. Lamberty-Freckmann
Fotos: N. Lamberty-Freckmann